Seid ihr auf dem Gebiet der japanischen Mythen und Legenden bewandert? Und ihr steht auch noch auf Strategie-Rollenspiele der Machart Final Fantasy Tactics? Dann könnte God Wars ideal für euch sein. Das Werk aus dem Hause Kadokawa Games vermengt nämlich das Gameplay-Gerüst von Squares Klassiker aus PS1-Tagen mit allem, was die japanische Sagenkiste hergibt – wobei letztere Elemente natürlich sehr, sehr frei ausgelegt werden. Nachdem der Titel bereits vor einigen Jahren auf der Vita und PS4 seine Premiere feierte, steht nun mit God Wars: The Complete Legend eine überholte und erweiterte Neufassung für die Switch an. Und auch wenn sich spielmechanisch nicht so furchtbar viel anders anfühlt, ist das Fundament immer noch unterhaltsam genug, um den geneigten Zocker über die äußerst lange Spieldauer bei Laune zu halten.
Opferriten? Nicht mit uns!
##bild80360rechts##Wie es in Geschichten um Götter und höhere Wesen nun mal so üblich ist, dreht sich auch diese um ein Opfer. Um den Zorn der Gottheiten Japans zu besänftigen, opfert eine namhafte Priesterin ihre Tochter und sorgt so für 13 Jahre Ruhe. Nun droht leider der nächste Konflikt, der durch die Unruhen des Fujiyamas signalisiert wird – und wie sich „schnell“ herausstellt, ist nun die nächste Tochter namens Sakuya als Opfer an der Reihe. Nur möchte die da nicht ganz mitspielen und büxt mit der Hilfe des Vagabunden Kintaro sowie seines Begleiters Kuma aus, um ihre Mutter zu suchen und der Dame ein paar Fragen zu stellen. Eine Reise, die sich über ganz Japan erstrecken soll und zahlreiche mythologische Gestalten auf den Plan ruft, von denen nicht alle freundlich gesinnt sind. Außerdem stellt sich im Laufe der Reise natürlich heraus, dass nicht alles so einfach ist, wie es eingangs scheint.
Bis dahin müsst ihr jedoch einiges an Zeit in God Wars stecken. Das „schnell“ weiter oben habe ich nicht umsonst in Anführungszeichen gesetzt, denn die Geschichte kommt eher schleppend in Fahrt. Das liegt wohlgemerkt aber nicht unbedingt daran, dass es Unmengen von Schlachten pro Kapitel zu schlagen gibt, sondern dass diese schlichtweg viel Zeit in Anspruch nehmen. Die Gründe dafür erläutere ich später noch einmal. Jedenfalls wird die Rahmenhandlung tatsächlich noch einmal spannender und Dranbleiben lohnt sich entsprechend, mangels deutscher Übersetzung haben jedoch nur Spieler mit guten Englischkenntnissen etwas davon. Und selbst dann sind die englischen Texte nicht wirklich gut, wobei ich mir nicht sicher bin, ob das schon im japanischen Original begründet liegt oder die Übersetzung schlichtweg mäßig ist. Ausbaufähig ist das Gelieferte auf jeden Fall.
Mühsam ernährt sich der Götterklopper
##bild80362links##Der Spielfortschritt an sich verläuft recht linear, da man über weite Strecken auf geraden Pfaden die Weltkarte Punkt für Punkt abklappert. Gelegentliche Überraschungen wie Reiseunterbrechungen durch nicht von vornherein sichtbare Gefechte bringen etwas Würze hinein, sind aber natürlich auch fest vom Drehbuch vorgeschrieben. An den regelmäßig verteilten Schreinen gibt es zudem stets eine Hand voll wiederholbarer Nebenaufgaben, die sich ganz gut zum Aufleveln der rekrutierten Charaktere nutzen lassen. Immens praktisch, wo man doch deutlich mehr als die im normalen Spielverlauf bis zu sechs eigenhändig aussendbaren Einheiten ansammelt – das höhere Einheitenlimit der Complete Legend-Auflage in Höhe von acht frei wählbaren Charakteren kommt leider erst sehr spät zum Tragen. Die Schlachten der Handlung lassen sich hingegen nicht wiederholen.
Im Gefecht zeigt God Wars dann auch seine Final Fantasy Tactics-DNS – oder zumindest das Grundprinzip des klassischen Taktik-RPGs. Jeder Kampf ist in Runden aufgeteilt, innerhalb dieser die Figuren je nach Geschwindigkeitswert an die Reihe kommen. Dann können sie, durch ihre Bewegungspunktzahl beschränkt, über das Feld beordert werden und Angriffe vom Stapel lassen oder sich schützen beziehungsweise schlichtweg warten. Wer seine Truppe trainieren möchte, sollte gerade letztere Option jedoch nur nutzen, wenn er die langsam im Kampfverlauf regenerierenden MP für mächtigere Moves aufsparen möchte – andernfalls lässt man sich nämlich Erfahrungs- und Jobpunkte durch die Lappen gehen, die für die Charakterentwicklung wichtig sind. Hier weicht God Wars etwas vom offensichtlichen Vorbild ab, bei dem eine unterlassene Aktion zum schnelleren, erneuten Zug führten kann. Auf der anderen Seite levelt man auf diese Weise seine Gefährten erschreckend schnell auf. Insbesonders gilt dies dann, wenn man sich auch fleißig mit den Nebenquests beschäftigt. Noch innerhalb des ersten Kapitels war ich dann mit einigen Einheiten – allen voran meine als Heilerin ausgebildete Sakuya – auf normalem Schwierigkeitsgrad glatt zehn Erfahrungsstufen über dem Gegner-Durchschnitt. Immerhin zeugt dies auch davon, dass man selbst ohne großartige Nebenbeschäftigungen mit etwas taktischem Geschick recht locker durch das Spiel kommen könnte.
##bild80363rechts##Die Betonung liegt hier aber definitiv auf dem „könnte“, denn God Wars legt euch durchaus einige unschöne Steine in den Weg. So entwickeln sich die Feinde sehr schnell zu nervigen Schadensschwämmen, die zudem auch noch selber mächtig austeilen können. Es ist also einiges an Geduld und Ausdauer gefragt, um die Gefechte zu gewinnen. Das schlägt sich entsprechend in der Zugzahl aus, die bei mir anfangs schon gerne gen 20 ging – bis ich eben meine Truppe ein wenig überlevelt habe und so im 10er-Bereich landete. Wer sich entspannter durch die Story schlagen möchte, sollte idealerweise direkt den niedrigeren Schwierigkeitsgrad wählen, der den Prozess beschleunigt. Oder es euch zumindest erlaubt, die Gegner schneller niederzuringen, denn trotz des angeblich erhöhten Kampftempos dauern die Schlachten dank der zahlreichen Einheiten auf dem Feld – es sind, Freund und Feind mit eingerechnet, gerne mal zwischen 15 und 20 unterwegs – immer noch recht lang. Standardmäßig ist die Vorspulfunktion für Bewegungsanimationen und andere Details bei The Complete Legend sogar schon aktiviert, im Direktvergleich mit der ungepatchten Vita-Version sind mir aber keine nennenswerten Unterschiede aufgefallen. Nun ja, bis auf die Tatsache, dass die Switch-Umsetzung die leichte Eingabeverzögerung in den Menüs vermissen lässt. Immerhin etwas.
Besser als jede Jobbörse
Die geschmeidigere Menü-Navigation ist auch bitter nötig, denn wie es sich für ein Strategie-Rollenspiel alter Schule gehört, müsst ihr reichlich Menüs wälzen. Kurioserweise sendet euch die Fertigkeitenauswahl im Kampf zunächst in ein Sammelbecken aller erlernten Tricks der aktuell ausgewählten Klassen, was je nach Berufung schon mal schnell unübersichtlich werden kann – trotz einiger menüinterner Sortierfunktionen. Die Beschränkung auf klassenspezifische Moves hilft da schon ein wenig, noch praktischer wäre aber beinahe eine manuelle Sortier-Option, selbst wenn diese noch mehr Menüarbeit zur Folge hätte, als man zwischen den Gefechten zum Teil eh schon hat.
##bild80364links##Wollt ihr nämlich eure stetig wachsende Mannschaft bestehend aus Neuinterpretationen japanischer Sagengestalten stets auf dem neuesten Stand halten, müsst ihr einiges an Klickerei auf euch nehmen. So kann jede Figur über insgesamt drei Jobklassen gleichzeitig verfügen: Einen Hauptberuf, der die Werte und Ausrüstungsoptionen beeinflusst, einen Nebenjob, der nur die Spezialaktionen spendet, und eine nicht änderbare, charakterspezifische Klasse. Durch das Hochleveln von Basis-Jobs werden in mehreren Stufen neue Professionen freigeschaltet, die entsprechend mächtigere Tricks mit sich bringen. Diese müssen jedoch zunächst einmal mit gesammelten Jobpunkten freigeschaltet werden, was wiederum beinahe genau so funktioniert, wie man es etwa von Final Fantasy Tactics kennt – nur dass man hier erhaltene Skills durch weitere Punkte hochleveln kann und bestimmte Fähigkeiten sich erst dann einsacken lassen, wenn Vorstufen im Talentbaum abgehakt worden sind. Immerhin: Ihr könnt bei der Teamzusammenstellung frei mit den Charakterklassen experimentieren, da bis auf eine geschlechtsspezifische Abwandlung desselben Jobs jede Berufung für alle Figuren zur Verfügung steht. Falls ihr aus dem axtschwingenden Kintaro oder dem bulligen Kuma fähige Magier machen möchtet, ist das durch einen kleinen Berufswechsel problemlos möglich. Da die Klassenwahl die Werteentwicklung beim Levelaufstieg bestimmt, wächst theoretisch jede Einheit auch irgendwann in ihren neuen Job rein.
Und in The Complete Legend habt ihr mehr als genug Zeit, um das ausgiebig auszuprobieren. Neben der erhöhten Levelobergrenze auf 199 von ursprünglich 99 wurden nämlich zahlreiche Post-Game-Inhalte hinzugefügt, allem voran das 50 Stufen lange Labyrinth von Yomi – ein komplett neues Bonus-Szenario mit neuen Einheiten und mehreren Enden. Da die Action hier ab Stufe 70 losgeht, möchte man natürlich für die teuflischen Herausforderungen bestens vorbereitet sein.
Kein göttlicher Augenschmaus
Da God Wars ursprünglich auch auf der mehr als betagten Vita laufen sollte, sind die 3D-Umgebungen natürlich jetzt nicht auf allerhöchstem Niveau – wobei auch Sonys kleine Maschine durchaus besseres auf dem Kasten hat. Die Kampfareale wirken alle extrem kantig und mäßig texturiert, was sich gerade in den Abschnitten am Meer bemerkbar macht. Das Wasser hat eher etwas aus PS2-Zeiten. Dafür sehen die knuddeligen Charaktermodelle relativ ordentlich, wenn auch ebenfalls leicht kantig aus. Außerdem läuft die Switch-Version durchgängig flüssig, selbst wenn man sie im Handheld-Modus genießt. So sollte es sein!
##bild80365rechts##Auf akustischer Ebene bietet das Taktik-RPG zwar stimmige Tracks im altjapanischen Stil, davon aber leider viel zu wenige. Speziell das reguläre Kampfthema wird sich noch auf halbem Weg durch das erste Kapitel unrettbar in euren Gehörweg brennen, besonders wenn ihr auch noch wahnsinnig genug seid, die Nebenaufgaben allesamt mitzunehmen. Etwas mehr musikalische Abwechslung wäre toll gewesen, denn so ging mir der eigentlich gelungene Soundtrack recht zügig auf die Nerven. Hinzu kommen ein paar kleinere Bugs bei den Soundeffekten, wegen derer die Wildschwein-Gegner mit komplett unpassenden Klängen angreifen. Übrigens sind alle Dialoge komplett in englischer Sprache vertont, wenngleich mit eher gemischter Qualität. Immer wieder stolpert man über Momente, wo die Betonung der Sätze einfach nicht richtig sitzt, insgesamt wirkt das Werk aber zumindest noch passabel. Freunde des O-Tons können alternativ natürlich auch zur japanischen Tonspur wechseln, nur gibt es bei dieser das klitzekleine Problem, dass die – glücklicherweise recht seltenen – Zwischensequenzen im Anime-Stil schlichtweg nicht untertitelt wurden.