##bild80423rechts##Warum nur eine Geschichte erzählen, wenn man auch acht bieten kann? Octopath Traveler gibt sich in dieser Hinsicht zumindest sehr ambitioniert und verlässt sich hierbei sogar in weiten Teilen auf persönlichere Handlungsstränge, als man sie von sonstigen Genrekollegen kennt. Außerdem stellt der Switch-Exklusivtitel Squares nächsten Versuch dar, ein klassisches Rollenspiel japanischer Machart glänzen zu lassen – mit dem zuletzt veröffentlichten Lost Sphear ist dieses Vorhaben ja leider nicht so recht gelungen (zum Test). So viel kann ich schon einmal vorwegnehmen: Mit den Erzählungen aus Orsterra haben die führenden Köpfe der Bravely-Spiele und das Studio Acquire ein famoses RPG-Erlebnis auf die Beine gestellt, das sich trotz diverser Schwächen auf jeden Fall lohnt. Was genau ich damit meine, erläutere ich euch in diesem Test.
Wähle deinen Weg
Mit welcher der acht Geschichten ihr beginnt, ist übrigens euch überlassen. Zu Beginn wählt ihr aus den verfügbaren Charakteren einen aus, den ihr fortan als festen Bestandteil eurer Gruppe durch die Spielwelt leitet. Ihr könnt beispielsweise die junge Händlerin Tressa dabei begleiten, wie sie ein altes Tagebuch aufliest und wichtige Haltestellen des unbekannten Reisenden besucht oder als Langfinger Therion nach einem verpatzten Diebstahlversuch die wertvollen Drachensteine einer reichen Dame aufspüren. Oder ihr verfolgt das Schicksal des einstigen Ritters Olric, dessen Leben als freischaffene Dorfwache durch einen Banditenüberfall und Hinweise auf einen alten Bekannten auf den Kopf gestellt wird und er somit in die Welt hinauszieht, um Antworten zu finden. Oder ihr verfolgt alle gleichzeitig. Ihr habt nämlich nach Abschluss des ersten Kapitels eurer Startfigur die Möglichkeit, alle sieben verbleibenden Reisenden aufzulesen und – sobald ihr ihre jeweiligen Story-Anfänge erledigt habt – die fortwährenden Kapitel in beliebiger Reihenfolge anzugehen. Theoretisch gibt euch Octopath Traveler sogar die Option, gar keine weiteren Gefährten zu rekrutieren und solo euer Glück zu suchen, dies ist jedoch vielmehr als Herausforderung des Entwicklerteams anstelle eines ernsthaften Vorschlags zu verstehen. Da ihr das Rollenspiel auch mit nur einer Person beenden könntet, glänzen die nicht für die jeweilige Handlung relevanten Figuren in den Zwischensequenzen auch leider durch Abwesenheit, was den Eindruck einer Reisegemeinschaft schwächt. Kurze Dialogszenen zwischen jeweils zwei Begleitern nach diversen Zwischensequenzen sollen hier zumindest etwas aushelfen und bringen auch einen guten Schuss Humor und Herz ins Spiel, wirken aber natürlich bei weitem nicht so involviert wie direkte Beiträge im Story-Verlauf.
##bild80416links##Das Rollenspiel erwartet dennoch eindeutig von euch, dass ihr zumindest einen Großteil der Helden in eure Gruppe aufnehmt. Frisch aus dem ersten Kapitel entlassen, werdet ihr nämlich voraussichtlich noch im einstelligen Charakterlevel-Bereich sein und dann verdutzt auf die Stufenempfehlung für den nächsten Abschnitt starren, die bei etwa 22 anfängt. Also dient das Durchleben der anderen Geschichten auch der pragmatischen Vorbereitung für die anstehenden Story-Teile. Dieses Gefühl wird ferner dadurch gestärkt, dass mit jedem Kapitelabschluss die Gegnerstufe des entsprechenden Bereichs angehoben wird, bis ein gewisser Grenzwert erreicht ist. Langweilig wird der erste, kreisrunde Marsch durch den zentralen Teil von Orsterra somit nicht und für einen steten Fluss an Erfahrungspunkten und Geldmitteln ist gesorgt. Trotzdem reichen die Maßnahmen leider nicht ganz aus, um den Übergang in die jeweils nächste Kapitelstufe komplett zu glätten. Der Sprung, den die Stärke der Normalo-Gegner und Handlungs-Bosse im nächsten Abschnitt hinlegt, ist gewaltig und fühlt sich selbst nach Abschluss aller acht Geschichten einer Stufe wie der Lauf gegen eine massive Mauer an. Das ist vor allem deswegen frustrierend, weil nur die bis zu vier aktiven Gruppenmitglieder tatsächlich Erfahrungspunkte verdienen und die Ausrüstungspreise schon im zweiten Spielteil dermaßen stark anziehen, dass man seine Crew nicht ohne etwas Fleißarbeit aufrüsten kann. Je nachdem, welche Charaktere ihr aufbaut, können zumindest Folgeübergänge in die nächsten Story-Stufen deutlich sauberer laufen – schlichtweg weil euch mehr Werkzeuge zur Selbstverteidigung zur Verfügung stehen.
Auf Boost und Bruch
Stichwort Selbstverteidigung: Wann immer ihr außerhalb von Städten oder innerhalb von bewachten Gemäuern unterwegs seid, lauern natürlich auch Zufallsbegegnungen mit diversen Monstern und Unholden auf euch. Die Intermezzos laufen stets rundenweise ab, wobei die Zugreihenfolge innerhalb einer Runde durch den Geschwindigkeitswert und kleinere Modifikatoren bestimmt wird – ganz klassisch eben. Etwas taktische Würze kommt durch zwei Elemente ins Spiel: Zum Einen verfügt jeder Gegner über Schildpunkte, die sich durch Angriffe mit effektiven Mitteln verringern lassen. Feueranfällige Feinde werden etwa bei Flammenattacken weich und geflügelte Bestien lassen sich in der Regel mit Pfeilen drangsalieren. Gefundene Schwachstellen werden zudem stets gut sichtbar auf dem Kampfbildschirm vermerkt, sodass ihr im Prinzip nur rumprobieren und euch nichts merken müsst. Sind die Schildpunkte abgearbeitet, wechselt der Gegner für zwei Züge in den gebrochenen Zustand, während dessen er betäubt ist und mehr Schaden pro Treffer kassiert.
##bild80418rechts##Diese Mechanik lässt sich gut mit dem Boost-System kombinieren, das dezent an die Brave-Angriffe aus Bravely Default erinnert, jedoch etwas anders funktioniert. Ihr sammelt nämlich pro ungeboostetem Zug stets einen Boost-Punkt und müsst nicht etwa eine Runde für ein Verteidigungsmanöver opfern. Die gebunkterten BP lassen sich dann über die Schultertasten aktivieren und entweder in stärkere Spezialfähigkeiten oder eine Vielzahl von Standard-Angriffen investieren. Speziell letzteres Element ist natürlich ungemein praktisch, um die Schildanzeige zu zermürben und einen entscheidenden Vorteil zu erlangen. Und gerade bei den nicht sonderlich einfachen Bossfights sind derartige Taktiken entscheidend, insbesonders wenn der Großgegner einen starken, wenn nicht sogar potenziell tödlichen Angriff vorbereitet.
Klingt eigentlich nach einem guten Kampfsystem und funktioniert im Großen und Ganzen auch wunderbar. Da selbst normale Gefechte teilweise recht knackig ausfallen können – gerade wenn man von einer Kapitelebene in die nächste übergeht –, kann man sich auch recht selten auf Standard-Manöver verlassen. Man muss tatsächlich mit dem Schwachpunkt- und Boost-System spielen, um effektiv voranzukommen. Leider treiben es speziell die Bosse doch ein wenig auf die Spitze. Gerade in der Anfangsphase des Spiels und, ich kann es nicht oft genug schreiben, beim Start einer neuen Kapitelstufe kommen einem die Riesengegner wie schier undurchdringliche Schadensschwämme vor. Ich spreche hier auch nicht von Ausdauer-Matches, bei denen der Gegner eure Vorräte zu zermürben versucht, sondern schlicht und ergreifend viel zu lang dauernde Kämpfe, bei denen ihr stets die selben Kommandos in der selben Reihenfolge rauspfeffert. Da bringen auch die kleinen Tricks, die diverse Bosse auffahren, nicht sonderlich viel Abwechslung rein. Immerhin relativiert sich das Problem, je weiter ihr innerhalb einer Story-Ebene kommt.
Was hingegen leider relativ gleich bleibt, ist das Niveau der Dungeons. So mag es natürlich ziemlich eindrucksvoll sein, dass man sich aufgrund der Spielstruktur relativ frei auf der Oberwelt herumtreiben darf, die Höhlen und Kerker fallen jedoch nie besonders auf. Vielmehr bestehen nicht wenige von ihnen aus recht verschlungenen Korridoren, deren Sackgassen am Ende von Abzweigungen den ein oder anderen kleinen Schatz bieten. Auflockernde Rätsel oder ähnliche Beschäftigungsmöglichkeiten abseits der Zufallskämpfe gibt es leider keine. Dafür sehen sie zumindest allesamt sehr stimmig aus.
Ein Held für alle Fälle
##bild80422links##Da eure Gefährten aus verschiedenen Lebensbereichen stammen, ist es natürlich umso verständlicher, dass sie alle auf ihre Weise zur Reise beitragen. Das schlägt sich auf gleich zweierlei Art auf das Spiel aus: Im Kampf verfügt jeder Charakter über seine ihm eigene Jobklasse und eine besondere Fähigkeit. Apotheker Alfyn ist beispielsweise in der Lage, gefundene Kräuter in Medikamente umzuwandeln, während Jägerin H’aanit wilde Bestien fangen und anschließend als Helfer herbeirufen kann. Diese figurenspezifischen Fähigkeiten lassen sich zwar nicht auf andere Kämpfer übertragen, erlernbare Job-Skills hingegen schon, sobald man die entsprechenden Schreine in der Spielwelt aufgesucht hat. Auf diese Weise kann man im Prinzip mit nur vier Charakteren die acht Berufe in die Schlacht führen und so beispielsweise Zugriff auf ihre jeweiligen Waffengattungen oder Zaubersprüche haben – ideal, um jede mögliche Schwachstelle beim Gegner anzugreifen.
Ähnlich verhält es sich auch mit den sogenannten Wege-Aktionen, von denen es im Prinzip vier Arten gibt. Therion und Tressa können etwa auf das Inventar von Dorfbewohnern zugreifen, während Priesterin Ophelia und Tänzerin Primrose Leute dazu bringen, ihnen zu folgen. Diese Doppelung hat jedoch einen tieferen Sinn: Während eine Variante gesetzestreuer Natur ist und in der Regel das Erreichen eines Mindestlevels voraussetzt, kann die andere Version mit der Gefahr des Scheiterns auch früher genutzt werden. Das Risiko dabei: Vergeigt ihr die Risiko-Aktion zu oft, nimmt euer lokaler Ruf Schaden und muss erst durch eine mächtige Finanzspritze in der örtlichen Bar reingewaschen werden, bevor die Bewohner wieder mit euch handeln oder Diebstahlversuche ermöglichen. Diese Wege-Aktionen müsst ihr übrigens auch immer wieder im Spielverlauf nutzen. Sei es, um einfach in den jeweiligen Story-Kapiteln voranzukommen, oder aber auch, um die nicht immer ganz eindeutig entschlüsselbaren Nebenquests zu lösen. Letzterer gibt es nämlich massig, die dafür in der Regel aber auch ziemlich kompakt ausfallen. Die Herausforderung besteht meist darin, überhaupt das Ziel zu entschlüsseln. Ob ihr einen Dörfler von Punkt A nach B geleiten müsst oder erst an einem meist völlig anderen Ort gewisses Wissen mit Alfyns und Cyrus‘ Aushorch-Fähigkeit aufgabeln müsst, wird in vielen Fällen nicht direkt klar. Da diese Zusatzaufgaben euch zumeist gut mit Geldmitteln und Gegenständen belohnen, sind sie den Aufwand zumindest wert.
Retro-Charme mit einer modernen Note
##bild80421rechts##Bei Octopath Traveler haben sich die Macher für einen wahrlich ungewöhnlichen Look entschieden. Ein flüchtiger Blick lässt es durch die pixeligen Charaktere und nicht weniger verpixelten Umgebungstexturen fast wie ein 16-Bit-RPG aussehen. Tatsächlich sind die Areale jedoch dreidimensional modelliert und sehen mit all den stimmungsvollen Grafikeffekten in Aktion alles andere als schlecht aus. Der Wüstensand glitzert im gleißenden Sonnenlicht, Staubwolken wüten durch Schluchten und die Schatten der Baumwipfel sorgen für das passende Waldmarsch-Gefühl. Kleine Details wie etwa der Diorama-Look von Räumlichkeiten verleiht dem Spiel ebenfalls eine gewisse Persönlichkeit. Und auch in den Kämpfen gibt es trotz simpler Animationen reichlich Effekte fürs Auge, allem voran das sehr zufriedenstellende Glasklirren beim Brechen der Schildanzeige. Und wo ich schon die Audio-Komponente anspreche, muss ich den Soundtrack in höchsten Tönen loben. Jede Gegend und jeder Charakter verfügt über eigene, erkennbare Melodien, die direkt ins Ohr gehen. Da macht das Erkunden der weitläufigen Landschaften gleich noch viel mehr Spaß! Die Kampfmelodien sind zudem allesamt dermaßen grandios, dass ich mich im fast schon auf jedes noch so kurze Gefecht freue, nur weil ich sie dann wieder zu hören kriege. Sprachausgabe gibt es übrigens ebenfalls, allerdings sind die zahlreichen Dialoge nur stellenweise vertont. Schade, denn die englische Tonspur ist – wenn man sich an gewisse Eigenheiten wie H’aanits Shakespeare-Englisch gewöhnt – erstklassig. Und wer sich lieber auf Japanisch zuquassseln lässt, findet auf dem Modul natürlich auch die entsprechende Original-Sprachausgabe.