Für Fans der im Westen eigentlich eher nischigen Atelier-Reihe ging es in diesem Jahr praktisch Schlag auf Schlag voran. Nach Nelke & the Legendary Alchemists im März und Atelier Lulua im Mai steht nun nämlich mit Atelier Ryza: Ever Darkness & the Secret Hideout bereits das dritte Crafting-Abenteuer auf dem Programm. Und während sich die beiden zuvor genannten Titel dank ihrer zahlreichen Verbindungen zur Serienvergangenheit an alteingesessene Fans richten, soll Ryza nun auch Neulinge zur hohen Kunst der Alchemie bekehren. Damit gehen auch einige spürbare Änderungen einher, obwohl im Kern immer noch das altbekannte Atelier-Herz schlägt. Was sich alles getan hat, was funktioniert und wo noch Verbesserungsansätze bleiben, das erläutere ich für euch in diesem Test.
Raus aus der Langeweile!
##bild82730rechts##Hauptfigur dieses Abenteuers ist Reisalin Stout, genannt Ryza. Gemeinsam mit ihren Freunden Lent und Tao sorgt die Teenagerin gerne mal für Unruhe in der eher verschlafenen Dorfgemeinschaft von Rasenboden auf der Insel Kurken. Eigentlich will sie jedoch mehr von der Welt sehen und ihren eigenen Weg einschlagen statt auf ewig an die Traditionen ihrer Heimat gekettet zu sein. Und ernsthaft, was soll da draußen schon Gefährliches warten? Schließlich schaffen es diverse Händler ja auch wohlbehalten von Ort zu Ort! Im Zuge des eher gemächlichen Einstiegs holt das Trio jedoch alsbald die Realität ein: Neben knuffigen Schleimwesen und possierlichen Wieseln ziehen leider doch ein paar bedrohlichere Wesen durch die Wälder, denen das Trio lediglich dank der Hilfe eines wandernden Alchemisten und seiner kampferfahrenen Begleiterin entkommt. Langer Rede kurzer Sinn: Von der Heldentat inspiriert will Ryza vom Alchemisten Empel die Kunst der Item-Synthese erlernen, während der aufstrebende Kämpfer und Söldnersohn Lent bei der Kriegerin Lila in die Lehre geht und Bücherwurm Tao von Empel etwas über die Sprache einer verlorenen Zivilisation lernt. Denn, und das wird nach dem schicksalhaften Treffen schnell klar, die im Laufe dieses 25 bis 30 Stunden dauernden Abenteuers zu bereisende Gegend ist von zahlreichen Ruinen gezeichnet, die womöglich auf mehr hinweisen als die Lebensweise eines ausgestorbenen Volkes.
Bis die Geschichte tatsächlich diese Schiene einschlägt, müsst ihr jedoch bereits einiges an Zeit investieren. Atelier Ryza geht die Dinge nämlich deutlich ruhiger an, als man es von anderen Rollenspielen gewohnt ist. Selbst bis zum ersten richtigen Bosskampf vergehen je nach Spielweise schon mal zweistellige Stundenbeträge – nicht dass ihr im Handlungsverlauf sonderlich viele Bosse zu erwarten hättet. Zuvor lebt ihr euch in den Alltag rund um Rasenboden ein und lernt die wichtigsten Personen sowie eine ganze Reihe von Nebenfiguren kennen. Tatsächlich legt Atelier Ryza sogar einen erstaunlich starken Fokus auf das tägliche Leben der Inselbewohner. Viele von ihnen bieten umfassende Quest-Reihen, in denen ihr ihnen aus der Patsche helft oder einfach nur schaut, wie es ihnen in letzter Zeit ergeht. Ist dann doch mal euer Mitwirken gefragt, gilt es in der Regel, entweder einen bestimmten Gegenstand von Streifzügen mitzubringen oder ihn im heimischen Alchemie-Kessel zusammenzumischen. Die Aufgaben werden dabei selten wirklich komplex und die Geschichten nie richtig tiefgründig, doch sie lassen das sonst eher als Hintergrund dienende Dörflein zumindest ein gutes Stück lebendiger erscheinen. So oder so: Wie für die allgemeine Story auch kommt ihr dabei ohne große Englischkenntnisse nicht weit, denn ganz wie bei den bisherigen Atelier-Titeln fehlt leider auch hier eine deutsche Übersetzung.
##bild82725links##Und wo ich gerade schon bei fehlenden Elementen bin, fallen auch Nebengeschichten rund um Ryzas Freundeskreis mehr durch ihre mangelnde Präsenz auf. Zwar gibt es durchaus kleine Dialogsequenzen, welche euch mehr über das Leben von Lent, Tao und Co. verraten, doch anders als bei den Vorgängerspielen werden sie nie eindeutig im Schnellreise-Menü angezeigt. Wenn man also eine derartige Episode findet, dann vielmehr zufällig, weil man zum wiederholten Male ganz Kurken und Umgebung auf den Kopf stellt. Dieses Versäumnis ist umso auffälliger, da sämtliche Dörfler-Quests sehr wohl mitsamt exaktem Fundort markiert werden, selbst wenn ihr die dafür notwendigen Anforderungen erst später im Spiel erfüllen könnt. Schade, denn so kommt einem die eigene Truppe weitaus weniger ausgearbeitet vor, als es bei Atelier üblich ist.
Das Abenteuer ruft!
Ihr seid bei Atelier Ryza aber natürlich nicht nur damit beschäftigt, der Erzählung zu folgen, sondern dürft auch die einigermaßen kompakte Umgebung erkunden. Anders als in den Vorgängerspielen (mit Ausnahme des Open-World-Abenteuers Atelier Firis) sind alle Gebiete logisch miteinander verknüpft und können theoretisch komplett ohne die praktische Schnellreise-Funktion aufgesucht werden. Die Anzahl der Areale bleibt auch im eher überschaubaren Rahmen, abseits von Rasenboden gibt es nicht einmal andere Städte zu bereisen. Stattdessen macht ihr die Wildnis unsicher, legt euch mit Monstern an und sammelt fleißig Materialien. Die deutlich sichtbaren Sammelstellen lassen sich dabei gerne mal auf verschiedene Arten abbauen. So gibt ein Baum durch einen Schlag mit Ryzas Stab beispielsweise Fallobst her, während sich mit einer Sichel Borke abschaben lässt oder per Hammerschlag Bienenstöcke heruntergeschüttelt werden. Die zusätzlichen Sammelwerkzeuge lassen sich jederzeit mit der L-Taste unkompliziert durchschalten und sorgen dafür, dass einem die Materialbeschaffung selbst in bekannten Gebieten nie zu eintönig wird. Dank ausreichend Platz im erweiterbaren Reiseinventar lässt sich zudem einiges einstecken, bis ein kurzer Schnellreise-Trip zurück zum heimischen Atelier notwendig wird, damit man auch neue Schätze einstecken kann. Und nicht nur zum Ressourcenabbau sind die Werkzeuge gut: Man kann mit ihnen auch den überall herumschwirrenden Gegnern einen Scheitel ziehen, um das in einem separaten Kampfbildschirm ablaufende Gefecht mit einem von diversen Vorteilen zu starten.
##bild82733rechts##Bei den Kämpfen selbst wurde einiges gehörig umgekrempelt. Vorbei sind die Zeiten der ruhigen, rundenbasierten Schlacht! Stattdessen tickt die am linken Bildrand sichtbare Zeitleiste gnadenlos weiter, selbst wenn man mit seinem aktiven Charakter am Zug ist und eine Aktion auswählt. Dank eingängiger, schneller Menüs – über die Aktionstasten setzt ihr entweder direkt zum Standard-Angriff an oder wählt aus euren je bis zu vier Kampffertigkeiten und ausgerüsteten Nutzgegenständen – ist alles erstaunlich flott und präzise ausgewählt. Dadurch laufen die Fights mit einem guten, konstanten Tempo, ohne dass es allzu unübersichtlich oder überfordernd wird. Bei der Nutzung von Fähigkeiten und Items wurde ebenfalls einiges geschraubt: So werden für eure mitgebrachten Gebrauchsgegenstände die von der gesamten Gruppe geteilten Ladungspunkte benötigt, die sich nur durch das vorübergehende Opfern eines Objekts wieder aufladen lassen. Da ihr aber im späteren Spielverlauf dank der steigenden Gruppenanzahl deutlich mehr Items mitschleppen könnt, fällt dieses Manko weitaus weniger ins Gewicht, als man zunächst glaubt. Und weil genutzte Medikamente und Sprengstoffe an sich nicht verbraucht werden, nutzt man sie auch gerne häufiger.
Dies ist gerade deswegen praktisch, weil mit der Item-Nutzung eine weitere Mechanik gestützt wird: Der Taktik-Level der Gruppe. Im Prinzip darf man sich das wie eine Art Gangschaltung vorstellen. Durch normale Angriffe, Gegenstands-Einsätze oder ausgeschaltete Gegner erhält das Team Aktionspunkte, die ab einem bestimmten Schwellenwert zur Erhöhung des Taktik-Levels genutzt werden können. Mit steigender Stufe, wobei 5 der Maximalwert ist, können Ryza und ihre Freunde mehr normale Angriffe in einer Aktion verketten oder auf stärkere Versionen ihrer Spezialattacken zurückgreifen. Besagte Sondermanöver werden allerdings auch mit Aktionspunkten gespeist. Es gilt also abzuwägen, wann man die Zeit zum Aufbau des Taktik-Levels nutzt und wann man aus allen Rohren feuert. Da ihr in all dem Wirbel nur einen Charakter direkt steuert, der mit den Schultertasten gewechselt werden kann, ist es umso erfreulicher, dass eure Teamkollegen standardmäßig nur reguläre Attacken ausführen und erst auf euer Kommando mit ihren Special Moves ausrücken. Leider hat die Taktik-Level-Mechanik aber auch einen Nachteil: Geht ihr nicht mit einem Initiativschlag ins Gefecht, startet ihr im extrem langsamen ersten Gang und müsst euch erst relativ mühsam auf mindestens Stufe 2 hochschlagen, damit der Kampf angenehm fließt. Trotzdem funktioniert diese Neuausrichtung des Kampfsystems insgesamt erstaunlich gut und macht nach etwas Einspielzeit sogar reichlich Laune.
Ein Kessel Buntes
##bild82734links##Auch wenn Erkundungen und Gefechte einen nicht zu unterschätzenden Teil eurer Zeit in Anspruch nehmen, geht es bei Atelier Ryza natürlich vornehmlich noch um das Zusammenmischen diverser Objekte. Zunächst in Ryzas Zimmer bei ihren Eltern und später in ihrem eigenen Alchemie-Atelier hat sie die Gelegenheit, aus dem aufgelesenen Krimskrams anhand einfacher Repezepte praktische Dinge zu basteln. Auch hier läuft wieder einiges merklich anders ab als zuvor: Jedes Rezept ist wie ein Netz aufgebaut, in das ihr die benötigten Materialien steckt. Ergeben die Elementpunkte der an den Knotenpunkten platzierten Ressourcen bestimmte Werte, werden die jeweils entsprechenden Eigenschaften zu eurer Schöpfung hinzugefügt. Auf diese Weise werden Heilungsobjekte wohltuender und Sprengsätze zerstörerischer. Auch die Erschaffung von Waffen und Rüstungen läuft nun komplett über den Alchemie-Kessel, anstatt sie auf Schneider und Schmiede auszulagern – ideal, wenn man kurz und bündig seine Truppe auf den aktuellen Ausrüstungsstand bringen möchte. Neue Rezepte gibt es dabei kurioserweise eher selten über die sonst bei Atelier üblichen Ingame-Bücher und Dokumente. Stattdessen sind sie häufig in euren bereits verfügbaren Rezepten versteckt und müssen durch Abgehen des Material-Netzes freigeschaltet werden. Das ist beileibe nicht immer so simpel wie es klingt, weil ihr je nach Alchemisten-Stufe nur eine sehr begrenzte Anzahl von Gegenständen in den Topf schmeißen dürft, bevor ihr mit dem Ergebnis leben müsst. Sobald man jedoch ein paar Dinge zusammengestellt hat, öffnet sich langsam das Puzzle-Potenzial des neuen Synthese-Systems und schnell arbeitet man daran, seine mitgeführten Objekte und Rüstungsgegenstände zu optimieren.
Im späteren Spielverlauf schaltet man zudem noch ein paar Nettigkeiten frei, mit denen sich bereits erstellte Stücke weiter pflegen lassen. So könnt ihr beispielsweise nachträglich weitere Knotenpunkte im Rezept-Netz ausfüllen oder gar einen beliebigen Gegenstand zur allgemeinen Verstärkung eurer Ausrüstungsobjekte einsetzen. Hierbei gibt es jedoch auch ein paar heftige Limitationen: So lässt sich letztere Kombi-Methode nur wenige Male pro Item anwenden und für die weitere Bearbeitung des Netzes werden zusätzlich Juwelen benötigt, die sich nur durch das Einschmelzen anderer Dinge gewinnen lassen. Je mehr ihr einbauen wollt, desto teurer wird der Spaß entsprechend. Dennoch ist es ungemein erbaulich, dass man sein Equipment nicht immer komplett von neuem zu synthetisieren hat, sondern auch einfach sein bestehendes Loadout upgraden kann. Nur neue Rezepte schaltet man auf diese Weise natürlich keine frei.
Schöne neue Welt
##bild82732rechts##Lief Atelier Lydie & Suelle im vergangenen Jahr noch eher schlecht als recht auf der Switch, zeigt Entwickler Gust nun mit Atelier Ryza ähnlich wie bei Atelier Lulua, wie eine saubere Switch-Umsetzung auszusehen hat. Klar ist die Optik im Vergleich zum PS4-Gegenstück immer noch ein wenig heruntergeschraubt worden und stellenweise fallen ein paar verwaschene Texturen und flackernde Schattenränder auf, doch insgesamt erstrahlen die Insel Kurken und das Festland auch auf Nintendos Konsole in einer erstaunlichen Pracht. Und all das ohne schwerwiegende Framerate-Einbrüche! Auf diese Weise kommen die vielfältigen Umgebungen mit ihren kleinen Details und Orientierungspunkten richtig gut zur Geltung. Auch in musikalische Hinsicht zeigt sich Atelier Ryza von seiner guten Seite und präsentiert maßgeblich fröhliche Melodien, die das beschauliche Abenteuer schön untermalen. Nicht zuletzt plaudert die Truppe natürlich auch reichlich, die Sprachausgabe gibt es allerdings „nur“ in ihrer japanischen Original-Version. Auf eine zusätzliche englische Vertonung, wie sie bis Atelier Firis üblich war, verzichtete Koei Tecmo bedauernswerterweise wieder einmal.