Was macht man eigentlich so, wenn man Menschen auf dem letzten Pfad ihres Lebens begleitet? Damit meine ich nicht das Schicksal von Personen, die im Sterben liegen, sondern die Seelen derjenigen, die jüngst verstorben sind. In Spiritfarer dürft ihr euch genau an diesem Berufszweig der Zwischenwelt versuchen. Das Team von Thunder Lotus begeistert bereits seit vergangenem Jahr zahlreiche Spieler mit der faszinierenden Geschichte über das Nachleben und nun wurde jüngst sogar eine Einzelhandelsausgabe auf Modul nachgeliefert. Für mich war das Grund genug, selbst als Seelenfährmann ins Boot zu steigen und zu schauen, ob das Leben auf dem Meer der Toten auch etwas für mich ist.
Mein erster Tag im neuen Job
##bild84555rechts##Wobei „ich“ direkt natürlich nicht die Hauptfigur bin. Das ist Stella, die mitsamt ihrer Katze Daffodil am Boote Charons erwacht. Der altgediente Fährmann geht in seinen wohlverdienten Ruhestand und überlässt der jungen Dame nun das Ruder – dies aber leider nur im übertragenen Sinne, tatsächlich muss sie sich zunächst ein eigenes Schiff beschaffen, das sich glücklicherweise mitsamt einer ersten verlorenen Seele auf einer nahen Insel findet. Ein wenig Aufräumarbeit und einen Besuch beim örtlichen Schiffsbauer später ist der Kahn auch wieder in Schuss, sodass die Reise hochoffiziell beginnen kann. Gwen, die zuvor erwähnte verlorene Seele, stellt sich dabei als alte Freundin von Stella heraus und führt die frischgebackene Seelenfährfrau an ihren neuen Alltag heran – von der Navigation über die Rohstoffbeschaffung bis hin zum Ausbau des Bootes sowie der Beziehungspflege mit anderen reisebedürftigen Toten.
Nach ein paar weiteren Einleitungsaufgaben seid ihr dabei im Prinzip vollkommen auf euch allein gestellt. In der Kapitänskajüte bestimmt ihr euer nächstes Reiseziel, auf das der Kahn direkt zuschippert. Symbole und andere Markierungen weisen dabei auf mögliche Ereignisse hin, die auch mal als Minigame enden: So könnt ihr beispielsweise auf einen Schwarm Quallen treffen und von diesen Gelee und als Geldmittel fungierende Glims gewinnen oder während eines Gewitters Blitze in Flaschen abfüllen. All dies erfordert von euch geschicktes Hüpfen an Deck, wobei eure zuvor platzierten Bauten – dazu später mehr – als Plattformen dienen. Abseits davon gibt es natürlich noch eine Hand voll Beschäftigungsmöglichkeiten, um die Reisezeit zum Ziel, die sich erst im Spielverlauf durch Upgrades und Schnellreisebushaltestellen verkürzen lässt, zumindest produktiv zu nutzen. Sei es der Anbau von Gemüse, das Flechten von Garn oder auch einfach eine entspannte Angelrunde am Heck: An Abwechslung mangelt es nicht. Wenn man von allem während der Reise ein wenig macht, kommt man zudem erstaunlich selten in die Bedrängnis, mal für die Hauptaufgabe notwendige Gegenstände zu vermissen. Vorausgesetzt natürlich, man ist auch bei den Erkundungen fleißig. Diverse Rohstoffe müssen nicht selten erst auf unterschiedlichen Inseln abgebaut oder erworben werden und vielerorts kommt ihr erst weiter, wenn ihr entweder Stellas Fähigkeiten an Schreinen erweitert oder euer Schiff aufgerüstet habt. Allein der stetige Warenkreislauf, mitsamt ergänzender aus Schiffswracks hebbarer Schätze und anderen Nettigkeiten, sorgt bereits für einen ungemein sogartigen Spielfluss, dem ich mich schnell nur schwer entziehen konnte.
Das leitende Licht der Toten
##bild84567links##Aber Stella ist nicht hier, um die lokale Wirtschaft anzukurbeln, sondern soll verlorene Seelen eskortieren. Diese besonderen Geister, die vor der Rekrutierung immer klar durch eine schemenhafte Gestalt anstelle generischen Nebels über ihren Köpfen auffallen, sind quer über die Spielwelt verteilt und tragen jeweils ihr eigenes Päckchen. Egal ob die freundliche Freundin Gwen, der lebenslustige Onkel Atul oder die engagierte Arbeiterin Astrid – jede rekrutierbare Figur hat eine eigene Questreihe, während derer ihr mehr über die jeweiligen Personen, ihr Leben und ihre Leiden erfahrt. Ein guter Teil davon hat sogar direkt mit Stella selbst zu tun und offenbart auf diese Weise auch einiges über die Protagonistin, die selbst kein für euch vernehmbares Wort zu sprechen scheint. Klar laufen die Aufträge selbst in der Regel auf einfache Lieferdienste oder Märsche zu gewissen Punkten auf der Karte hinaus, doch die Geschichte verknüpft alles dermaßen gekonnt, dass ich die Strapazen gern auf mich genommen habe. Entsprechend schwer wiegt dann natürlich der unweigerlicher Abschied, wenn alles erledigt ist und die Seele zur Immerpforte und damit dem Ende der Reise begleitet werden möchte.
Bis dahin dürft ihr aber dafür sorgen, dass sich eure Besatzung auch wohlfühlt. Dazu gehört zum einen das leibliche Wohl: Jeden Morgen will die Meute mit der Schiffsglocke geweckt werden, als weitere Stimmungsbooster dienen zudem diverse kochbare Gerichte und auch eine einfache herzliche Umarmung. Bei entsprechend guter Laune belohnen euch eure Geisterfreunde gelegentlich sogar mit kleinen Geschenken in Form von Materialien. Auf der anderen Seite will natürlich auch das Schiff entsprechend eingerichtet werden: Zunächst kommen Neulinge in der Regel in einer Art Gästezimmer unter, später wünschen sie sich eigene vier Wände, die sich zudem noch mit vorgegebenen Zusatzmöbeln aufrüsten lassen. Wenn ihr jetzt noch bedenkt, dass andere Einrichtungen wie eine Kombüse, Schmiede oder Gartenanlagen ebenfalls auf dem Kahn Platz finden müssen, könnt ihr euch sicherlich vorstellen, welch puzzleartige Züge das mit der Zeit annehmen kann – der Platz ist nämlich je nach Aufrüstungsstufe des Schiffs beschränkt. Glücklicherweise lassen sich bereits platzierte Einrichtungen jederzeit unkompliziert verschieben, was den Frust immens mindert. Und wenn es wirklich sein muss, können die Bauten notfalls auch komplett abgerissen werden.
Spielbarer Zeichentrick
##bild84564rechts##Spiritfarer überzeugt nicht nur auf spielerischer Ebene, sondern auch in der Technik. Die handgezeichnet wirkenden Charaktere und Umgebungen sind schlichtweg eine Augenweide, die Animationen ein Gedicht. Allein die vielen einzigartigen Umarmungsreaktionen der Geister sorgen für ein wohlig warmes Gefühl, aber auch die Tatsache, dass alle Aktionen mit Stellas Katze Daffodil im lokalen Koop-Modus funktionieren – mitsamt passender Animationen – wertet die Optik ungemein auf. Da ist es umso bedauernswerter, dass diverse Details auf dem kleinen Display der Switch bzw. Switch Lite natürlich schwer sichtbar werden. Ferner gibt es manche Ingame-Briefe, die sich aufgrund des extrem kleinen Fonts nur schwer lesen lassen. Dafür läuft die Seelenreise immerhin stabil und flüssig. Und selbstverständlich sei an dieser Stelle auch nicht die wunderschöne musikalische Untermalung vergessen. Nicht selten begleiten euch beruhigende, atmosphärische Klänge, welche die allgemeine Grundstimmung des Geistermeeres hervorragend unterstreichen.