Haven

Ein frisch verliebtes Paar auf der Flucht vor einem erbarmungslosen Regime, das die Paare normalerweise ohne Rücksicht auf Liebe und nur nach Nützlichkeit auswählt … Das könnte der Plot eines drittklassigen Liebesfilms sein. Tatsächlich stammt er von Haven, einem Indieprojekt der Game Bakers, die zuvor schon mit Furi ein gutes Kampfspiel ablieferten – auch auf Nintendo Switch. Wie sich der französische Entwickler jetzt mit dem genauen Gegenteil, einem eher romantischen und äußerst ruhigen Spiel, schlägt, verrate ich euch im Test.

Mit dem Nest weg vom Bienenhaus
##bild84132rechts##Was sich auf den ersten Blick komisch anhört, stellt quasi die Vorgeschichte dar: Die junge Yu hat keine sonderliche Lust mehr, in den Fängen der sogenannten Apiary zu leben. Besagtes Apiary ist mehrere Welten umfassende Heimat, deren Regierung an der oben genannten Praxis festhält, die Ehepaare nach ihrer Eignung und nicht nach Zuneigung zueinander auszuwählen. Da sie als Tochter einer ranghohen Vertreterin der Regierung Zugriff auf ein Schiff namens Nest erlangen konnte, schnappte sie sich kurzerhand den gleichaltrigen Biologen Kay und gemeinsam flohen sie über eine mysteriöse Raumbrücke zu einem unbekannten Planeten, Source. Frisch in der neuen Heimat angekommen, wird zuerst aufgetankt. Im Universum von Haven wird so ziemlich alles über sogenanntes Flow betrieben, das auch den Zugang zu ihrem Versteck erschaffen hat. Gemeinsam begeben sich die beiden also auf die Suche nach einer neuen Flowquelle, die in Form eines Pfades abgeflogen werden muss. Ja, wir fliegen tatsächlich durch die Gegend, wobei beide Protagonisten die meiste Zeit eher knapp über dem Boden schweben. Das hört sich nicht nur ziemlich cool an, in der Luft sind auch so einige Manöver, wie U-Turns, möglich, die eine blitzschnelle Umkehr in die Gegenrichtung bedeuten. Um die Kurven enger nehmen zu können, sind auch Drifts möglich und später im Spiel kommen noch ein paar weitere Funktionen hinzu.

Als Spieler steuere ich direkt einen der beiden Charakter. Wahlweise kann auch eine zweite Person mitfliegen, wobei die Kamera immer auf mir als ersten Spieler gerichtet ist. Spiele ich alleine, lässt die CPU meinen Konterpart neben mir her fliegen. Dank kleiner Mono- und Dialoge, die die aktuelle Situation kommentieren, tauche ich immer mehr in das Leben der beiden Charaktere ein. Richtig intensiv wird die Immersion aber erst durch die Gespräche im Hub – direkt im Schiff Nest. Hier kehren die beiden Abenteurer zurück um Gerichte zuzubereiten, sich schlafen zu legen, sich zu duschen oder später um verschiedenste Dinge zu entwickeln und zu produzieren. Beide erleben, wie es ist als frisch verliebtes Paar in die Fremde zu fliehen und selbst auf eigenen Beinen zu stehen. Alltägliche Probleme, wie das immergleiche Essen oder das Verhalten des jeweils anderen, werden in Gesprächen ausufernd diskutiert und dank einer fantastischen englischen Vertonung bleibe ich weiter am Ball und will alles über die beiden und ihre Hintergrundgeschichten erfahren. Dank First-Person-Kamera kann ich mich im Interior des Schiffs frei umschauen und die beiden Figuren als Außenstehender beobachten und bei den Erzählungen lauschen. Hin und wieder muss ich, stellvertretend für einen der beiden Charaktere, die Antwort übernehmen und aus zwei Vorgaben wählen. Das kann, bei richtiger Wahl, im besten Fall ihr Selbstvertrauen stärken aber auch meine Immersion weiter intensivieren.

Ach ja, irgendwas mit Story
##bild84135links##Das Schiff wird schnell fester Bestandteil der Geschichte, da in den ersten Minuten ein Erdrutsch einige Teile des Schiffs zerstört, die erst ersetzt werden müssen, um überhaupt über eine Weiterreise nachdenken zu können. Das verleitet die beiden Turteltauben, die inzwischen heimisch gewordene Plattform zu verlassen und andere fliegenden Inseln zu besuchen. Der Planet besteht an der Landestelle nämlich nur noch aus vereinzelten Bruchstücken, die glücklicherweise durch kleinere Flowbrücken miteinander verbunden sind. Später entdecken die beiden noch das nicht minder mysteriöse Rust, das sich als eine Art Ascheschicht auf weite Landstriche gelegt hat und sogar die örtliche Fauna in Aufruhr versetzt. Wird das Paar von wilden Tieren erwischt, beginnt ein Echtzeitkampf, in dem über die beiden Pads eine Aktion für beide Figuren ausgewählt und aufgeladen wird. Je nach Auswahl bekommt der Gegner dann entweder einen Angriff ab oder der Charakter geht in Verteidigungsstellung, um den Partner vor Angriffen zu schützen. Sind die Lebenspunkte des Gegners bei 0 angekommen, kann er mit einer weiteren Fähigkeit von seiner Verunreinigung befreit werden, wodurch das Wesen wieder freundlich wird und sich ab jetzt sogar streicheln lässt. Dafür gibt es einen kleinen XP-Boost, der dann automatisch bei einem Level Up in verbesserte Fähigkeiten eingesetzt wird.

Die Schiffsteile sind quer über die Inseln verstreut und müssen durch intensives Erkunden gefunden werden. Zwar verfolgt die Anordnung der einzelnen Stückchen Land ein klares Ziel, allerdings ist für das große Finale ein repariertes Schiff von Nöten. Es führt also kein Weg dran vorbei: Jedes Eiland will besucht und erkundet werden. Während der Suche lässt sich der Rust aufwischen und potentielle Gegner bekehren, um die Insel abzuhaken. Oft lassen sich auch noch Früchte einsammeln, die beim Kochen einen höheren Gesundheits- oder XP-Bonus versprechen oder in Heilung umgewandelt werden können. Als kleines Collectible lassen sich die verlassenen Häuser von verschollenen Siedlern durchsuchen, wodurch dann das entsprechende Eckchen Land noch einmal gesondert als erledigt markiert wird. Nach der ganzen Erkundung sucht sich das Paar entweder ein freies Plätzchen unter den Sternen oder kehrt ins kuschelige Nest zurück. In jedem Fall darf man sich, je nach Fortschritt, auf so manche Hintergrundgeschichte oder gar knisternde Erotik freuen. Im Großen und Ganzen ist damit das Gameplay abgearbeitet, denn größtenteils beschränkt sich die gesamte Hauptstory auf die Suche nach nützlichen Ersatzteilen fürs Schiff und den Weg über die Inseln. Allerdings gibt es auch den ein oder anderen Wendepunkt, der die Spannung ungewohnt aufdreht und auch das Ende weiß ebenfalls zu überraschen. Dass die Entwickler dabei das gesammelte Selbstvertrauen der Liebenden und eine größere Entscheidung für mehrere mögliche Schlusssequenzen zusammenfließen lassen, ist äußerst gelungen.

Fazit

##bild84134rechts##Schon das künstlerische Eröffnungsfilmchen zeigt genau, in welche Richtung sich Haven letztendlich entwickelt: Es geht ganz und gar um die enge Bindung der beiden Protagonisten Yu und Key, die als verliebtes Paar die Höhen und Tiefen ihrer Beziehung erleben und sich auf so manches Abenteuer begeben. Dabei bleibt das Spiel die meiste Zeit über langsam und entschleunigt und setzt damit einen erholsamen Kontrast zur hektischen Welt draußen. Perfekt für die Coronazeit gemacht kann ich nach Source fliehen, um den geheimnisvollen Planeten zu erkunden, ohne großartig dabei von neuer Story oder Gameplaymechaniken überrascht zu werden. Die Charaktere entwickeln sich mit meiner Spielzeit - genau genommen mit jedem Level Up - und so kommt es am Ende auch zu Zärtlichkeiten, wobei diese äußerst realistisch und pointiert eingesetzt werden - das USK 16-Siegel trägt der Titel aber nicht ohne Grund. Auch die Hauptgeschichte kommt nur langsam voran, was dem Spiel die Gelegenheit gibt in 10 bis 15 Stunden etwas Worldbuilding zu betreiben, um beispielsweise von dem Leben in der Apiary sowie den Vorzügen und Widrigkeiten dort zu berichten. Leider bleibt diese Sicht recht einseitig und mit der ansteigenden Brutalität des Regimes ist die Einordnung in die Kategorie „Böse“ schnell eindeutig abgeschlossen. Für Überraschung sorgt stattdessen so manche Wendung in der Haupterzählung, aber auch die ein oder andere Entdeckung auf der Reise über die Inseln. Die Kämpfe und das Erfahrungssystem bleiben dagegen ziemlich uninteressant und langweilig. Etwas schade, da nach Furi doch etwas mehr möglich gewesen wäre. Zumindest die stimmungsvolle Musik passt voll und ganz in das Konzept des Spiels und hat mich in so manchem Traum nach dem Spielen verfolgt. Am wichtigsten ist wohl, dass am Ende jeder selbst weiß, was man hier erwarten sollte, denn viel Action und Spannung gibt’s hier nicht. Auch die Portierung auf Nintendo Switch ging nicht spurlos an dem Game vorbei, denn zumindest die hübsche Grafik musste doch einige Einbußen zugunsten der stabilen Framerate hinnehmen. Nichtsdestotrotz ist der Titel meiner Meinung nach die 24,99 Euro auf dem Hybriden wert. Wer noch zweifelt, kann sich aktuell für den Game Pass auf dem PC entscheiden, in dem Haven ebenfalls enthalten ist. In jedem Fall sollte man sich diesen doch etwas anderen Titel mal etwas genauer angeschaut haben. Will die beiden Hauptcharaktere nicht verlassen: Nicola Hahn [501.legion] für PlanetSwitch.de Vielen Dank an The Game Bakers für die freundliche Bereitstellung des Reviewcodes.

Wertung 90 / 100

Schnulzige Story? Vielleicht, aber dafür ein herrlich romantisches Abenteuer in den unendlichen Weiten des Alls …

Pro

  • Entspanntes Gameplay …
  • Stabile Performance …
  • Lebendige und intensive Dialoge
  • Gelungener Soundtrack
  • Tolle Sprachausgabe

Contra

  • … das nicht viel neues und spannendes bietet
  • … auf Kosten der Grafik und Details

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