Spielestudio

Unreal, Unity, Cry, Lumberyard, Snowdrop … Diese Namen habt ihr bestimmt schon einmal gehört. Sie stehen alle für sogenannte Gameengines, die quasi die Motoren der Spiele sind. Hier verbinden die Entwickler das Leveldesign mit dem Coding, Modeling und Sound. Am Ende entsteht ein neues Videospiel, das dann auf einer bestimmten oder zahlreichen Plattformen wie dem PC oder der Nintendo Switch installiert werden kann. Nintendo selbst könnte mit dem Spielestudio eine solche (stark vereinfachte) Engine direkt auf der Konsole anbieten und mit dem enthaltenen Tutorial den Einstieg für neue Entwickler ebnen. Oder driftet der Titel eher in die Leveleditor-Richtung, die schon Super Mario Maker eingeschlagen hat?

Programmieren lernen mit Bob und Alice
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Gleich zum Start werde ich in ein Spiel geworfen: Ich bin ein blaues Männchen, das sich nach links und rechts über den Bildschirm bewegen kann, und in einiger Höhe befinden sich Plattformen, an deren Ende ein Apfel thront. Die Anzeigen geben mir unmissverständlich zu verstehen: Ich soll mir den Apfel schnappen! Wie auch schon in Super Mario Maker kann ich das Ziel des ersten Levels aber nicht erreichen, denn es ist noch nicht fertig! Während im Mario-Baukasten der komplette Untergrund vor dem Ziel fehlte, ist es beim Spielestudio die Fähigkeit zu springen. Nach einigem hilflosen Hin- und Herlaufen erlöst mich ein blauer Punkt namens Bob, der mich in die Editoransicht lotst, wo mich schon eine Vielzahl an sogenannten „Knotixe“ erwartet und freudig begrüßt. Diese Wesen repräsentieren alle Trigger, Spielelemente und Gamemechaniken, wie beispielsweise die Kamera, das Level selbst und die Bewegung der Figur nach links und rechts. Da aber noch niemand für das zielführende Springen zuständig ist, muss ein neuer „Knopf-Knotix“ her, der kurzerhand beim Druck auf die Taste A den Protagonisten des bisher unfairen Spiels springen lässt. Damit ist der Level endlich lösbar und mit Erreichen der kostbaren Frucht geht es auch schon zu den interaktiven Lektionen.

Wie auch schon im Leveleditor des Klempners teilt sich dieses Spiel in zwei Parts auf: Entweder bastle ich selbst meine eigenen Games zusammen oder teste die meiner Freunde aus. Einen viel größeren Aspekt nimmt aber dieses Mal der Bereich der interaktiven Lektionen ein, die anhand von sieben Spielen die einzelnen Mechaniken und Möglichkeiten von Spielestudio erklären. Bei der sogenannten „Wilden Jagd“ versuchen sich zwei Spieler zu fangen und „Kullerkugel“ lässt den Spieler eine Kugel per Bewegungssteuerung durch einen Parcours rollen. „Alien-Attacke“ ist dagegen ein klassisches Shoot ‚em up und „Risiko-Parcours“ ein traditionelles Jump ’n‘ Run. Der „Raum der Rätsel“ versetzt den Spieler in einen dreidimensionalen Escape Room, „Qualmende Reifen“ erfordert 3D Racing-Skills und am Ende gibt’s noch ein 3D-Actiongame namens „3D-Parcours“. Hier sollte definitiv für jeden Geschmack etwas dabei sein und die jeweiligen Ergebnisse spielen sich auch durchaus überzeugend. Die einzelnen Lektionen werden von Bob schnell durchgegangen, indem kurz erklärt wird, was das Ziel eines Schritts ist, und anschließend wird auch gleich der jeweilige Ablauf gezeigt, um den Schritt abzuschließen. Als blauer Punkt umkreist Bob einfach die jeweiligen Stellen auf dem Bildschirm, die nun angeklickt werden sollen, und so entsteht nach und nach das gewünschte Spiel. Doch für diejenigen, die mit dem zügigen Tempo nicht zurechtkommen oder nicht gleich vor vollendete Tatsachen gestellt und lieber selbst nachdenken wollen, hat Nintendo glücklicherweise noch einen rosa Punkt namens Alice eingeführt. Der bewegt sich deutlich gemächlicher über den Bildschirm und verspricht, die einzelnen Themen ausführlicher zu erklären und sogar kleine Aufgaben zu stellen, um das Gelernte abzufragen. Im optionalen Bereich namens „Alice erklärt’s“ tauchen jetzt nacheinander die in den Lektionen neu behandelten Objekte auf und werden dort genauer vorgestellt und am Ende das Wissen über diese praktisch abgefragt. Aber auch andere Grundlagen wie die Bedienung des Editors stehen im Fokus des Helferleins.

Jetzt wird gezockt!
##bild84466links##Wer sich genügend in den Lektionen und im freien Programmieren ausgetobt hat, kann sich von Spielen aus der ganzen Welt inspirieren lassen oder einfach loszocken. Leider hat Nintendo dieses Mal den Browser komplett weggelassen, wodurch die Games anderer Spieler nur durch die Suchfunktion und mit Eingabe der Spielcodes gefunden werden können. Glücklicherweise haben sich auf YouTube und Twitter gleich einige Accounts gefunden, welche die Kreationen sammeln und somit einige Stunden Spielspaß in Form von neuen Codes auf Lager haben. Ein kurzer Ausblick gefällig? Ein User hat sich die offensichtlichste Vorlage geschnappt und WarioWare nachgebaut: Ein Aufzug bewegt sich durch verschiedene Stockwerke und auf jeder Etage gibt es ein neues Minispiel zu spielen. So muss beispielsweise ein Baseball rechtzeitig geschlagen, die Nase korrekt gebohrt, Aliens mit einer Rakete ausgewichen und Fische aufgefuttert werden – Zeitdruck inklusive. Wird die Aufgabe nicht korrekt oder zu spät erfüllt, verliert man ein Leben. Doch bleiben wir gleich bei Wariospielen: In „Wario’s Taco-Stand“ muss ich vorbeikommenden Kunden mit der richtigen Tastenkombi korrekt zusammengesetzte Tacos servieren und auch hierfür bleibt mir nur begrenzt viel Zeit. Auch Fighting Games gibt es in einer Vielzahl, beispielsweise in Form von „Cat Fight“, das sogar in einer Single- und in einer Multiplayerversion daherkommt – allerdings gibt es Letztere nur lokal. Hier kämpfen zwei Katzen samt Lebensbalken und Zeitbeschränkungen um ihr Leben und verteilen schnellstmöglich Hiebe mit ihren Krallen. Selbst der Klassiker Superhot hat mehrere Adaptionen in Spielestudio bekommen, die das Spielprinzip des Shooters mit Zeitlupenmechanik perfekt umsetzen.

Generell halten sich die Hobbyentwickler nicht mit Portierungen ihrer Lieblingsspiele zurück: So geben sich diverse Umsetzungen von Mario Kart, The Legend of Zelda, Doom, Pokémon, Nintendogs und sogar Horrorgames wie P.T. und Resident Evil die Ehre. Die genannten Portierungen bewegen sich zwischen „netter Versuch“ und „Eins-zu-Eins-Kopie“, wobei besonders Pixelgames und einfachere 3D-Games am ehesten grafisch beeindrucken können. Aber auch so manche Gameplaymechaniken wie die von Portal oder Baba Is You werden ebenfalls gekonnt nachgebaut und in eigene Levels verarbeitet. Wenn sich die Spieler dann aber von den Vorlagen lösen und selbst innovative Ideen einbringen, werden die Ergebnisse noch imposanter: So endet das Spiel „Break The Cycle“ in einem unerwarteten Twist und „Tower Defense“ zeigt, dass selbst dieses Genre einen verdienten Platz im Spielestudio einnimmt. Ein ganz neues Niveau an Polishing, also dem Polieren auf Hochglanz, betreibt „Little Puzzle Island“, hinter dem sich trotz des harmlosen Namens ein waschechter Anwärter auf den Puzzlethron von The Witness versteckt.

Fazit

Nintendo liefert mit Spielestudio ohne große Werbekampagne eine astreine Mini-Gameengine ab, die das Potenzial hat, künftige Spieleentwickler auf den Weg zu bringen. Einerseits ist der Editor dank der Gestaltung mit der zum Leben erweckten „Knotixe“ für ein junges Publikum zugänglich, andererseits lassen sich sogar komplexere 3D-Games mit dem Baukasten umsetzen. Die beiden Begleiter Bob und Alice bieten eine tolle Synergie aus zwei unterschiedlichen Lerngeschwindigkeiten, sodass man sich nicht davor fürchten muss, gelangweilt oder konträr überfordert zu werden. Mit sieben waschechten Games, auf die man durchaus stolz sein und noch nach eigenen Vorstellungen erweitern kann, ist ein ideales Szenario vorhanden, um sich bei der Entwicklung neuer Spielideen auszutoben. Den Vergleich zu Super Mario Maker wird sich aber Game Builder Garage, wie der Titel im englischen Original heißt, dennoch gefallen lassen müssen, denn bei beiden Titeln reichen die Möglichkeiten leider nur für kleinere Projekte und selbst die werden mit den dargestellten Elementen derart komplex, sodass man Gefahr läuft die Übersicht zu verlieren. Wem es an Inspiration fehlt, kann sich diese wie beim älteren Bruder aus den Weiten des Internets holen und hier haben beide Communitys bereits in den ersten Tagen ein beeindruckendes Portfolio zusammengestellt, das so manches Kleinod umfasst. Doch an der Stelle verhaut es Nintendo gehörig, denn ohne eine kuratierte Auswahl wie bei Super Mario Maker und einem ordentlichen Browser muss man sich externer Plattformen bedienen, um eben diese Geheimtitel finden und spielen zu können. Am Ende bleibt dies doch der einzige größere Kritikpunkt und ich habe keine Probleme den Titel Spielestudio als die nächste Entwicklungsstufe von Super Mario Maker zu bezeichnen, der die Grenzen des Platformer-Genres verlässt und ein unglaublich großes Spektrum an Möglichkeiten bietet. Dabei helfen der Textureditor, bei dem gepixelte Grafiken erstellt werden können, die dritte Dimensionsebene und die Unterstützung von USB-Mäusen, die extrem hilfreich ist und bisher in diversen Leveleditoren schmerzlichst vermisst wurde. Programmierinteressierte, aber auch Indie-Liebhaber, die auch gerne kleinere Spielchen anzocken, werden sich hier am wohlsten fühlen. Aber auch alle anderen sind hier definitiv willkommen und eine größere Bekanntheit hat der Titel definitiv verdient - erst recht für den günstigen Preis von gerade einmal 30 Euro. Vielleicht wird dann auch der Schnitzer mit dem Onlinebrowser nachgebessert. Musste noch früher in die Bibliothek rennen, um Programmieren zu lernen: Nicola Hahn [501.legion] für PlanetSwitch.de Vielen Dank an Nintendo für die freundliche Bereitstellung des Reviewcodes.

Wertung 87 / 100

Die konsequente Weiterentwicklung von Super Mario Maker und der perfekte Einstieg für alle, die Programmieren lernen wollen.

Pro

  • Unglaublich gute Community-Games von altbekannten Vorlagen bis hin zu frischen Spielen …
  • Praxisbezogenes Tutorials für schnelle und langsame Lerner
  • Sieben Beispielgames, anhand derer gelernt wird
  • Textureditor und die Möglichkeit, in 3D zu arbeiten, bieten große kreative Freiheiten
  • Mausunterstützung verhindert Frust beim „Programmieren“

Contra

  • … die aber nur über externe Quellen gefunden werden können
  • Bei umfangreichen Projekten verliert man schnell den Überblick

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